Interpretationen ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wir setzen uns zusammen und deuten einen vorher zufällig festgelegten Titel in einem zuvor festgelegten Rahmen aus. Die Ergebnisse sind oft genug erstaunlich.

Arabische Herrscher, echte Bässe [Birger Stepputtis]

Die arabischen Herrscher kamen aus dem Orient, zogen Richtung Abendland und Neue Welt, in die Wüste und den Dschungel, in Hafenkneipen und Berghütten – und sie entfachten eine Spur des Leids hinter sich wie das Feuer aus der Hölle. Nicht aus prächtigen morgenländischen Pagoden kamen sie gen Westen, nein! Aus schäbigen Lagerhallen und dunklen Hinterhöfen, dreckig und verlottert, ohne verzierte Gewänder und Turbane, ganz blank, ganz weiß – kristallin – so spürten sie hinaus in die Welt. Arabische Herrscher – Arabian Lords – bald schon waren sie bekannt und gefürchtet, bei den Reichen in ihren Penthouses und Lofts, wie bei den Armen in ihren Kellern und Kabuffs. Keinen echten Bass ohne König aus dem Orient, so hieß es in der Szene. Kein Leben mehr, wenn die arabischen Herrschern dich in ihren Fängen halten, so hieß es auch. Dennoch, viele verfielen dem exotischen Scharm der Wüstenkönige, ließen sich in ihren teuflischen Bann ziehen und wurden zugrunde gerichtet, niedergestreckt, zerschlagen von der langen, furchtbaren Klinge der Arabian Lords. Man durfte ihnen nicht zu nahe kommen. Niemals! Wer in ihren Dunstkreis kam, kam in den Teufelskreis. Wer sich ins Gefolge der tödlichen Generäle begab, würde es nie wieder verlassen. Niemand konnte das. Wie ein Vertrag, der niemals unterzeichnet werden brauchte, um in Kraft zu treten, hing das Elend über denen, die süchtig waren nach ihrem eigenen Ende. Das Gefühl, das einem die Arabian Lords gaben, muss unglaublich gewesen sein. Jeder kannte die Bilder: Menschen, gefangen im Bann, die in völliger Extase, in Trance, als wären sie bereits auf dem Weg zu ihren Göttern, ausflippten, jubelten, schrien, abhotteten. Später dann, wenn sie länger in der Armee der Könige waren, wurde aus dem Flug ein Sturz. Kein Jubeln, keine Bässe mehr, nur noch Leid und Tod. Arabische Herrscher, Arabian Lords: Sie kamen aus orientalischen Chemielaboren und sie brachten den Tod.

06.02.2022


Arabische Herrscher, echte Bässe [Rudy Mehlmann]

Die Tage waren heiß. So drückend heiß, dass das Pflaster zu glühen schien und die Menschen auf ihm von Kopfschmerzen erdrückt und von Wassermangel geplagt wurden. Wenn man nur wenige Minuten das Trinken vergaß, dann verschwammen die Menschenmassen vor den eigenen Augen, wanden sich und tanzten, zerflossen schließlich und anstelle ihrer traten fantastische Bilder. So heiß war es an diesen Tagen und doch waren sie alle hier.             
Ein lautes Tönen drang von vorne, bis ins Mark krochen dumpfe Schläge und aufgebrachte Stimmen. Sie alle fühlten sich dreckig und wunderbar. Noch nie in ihren Leben hatten sie so sehr geschwitzt, noch nie in ihren Leben waren ihnen staubige Luft in den Lungen und verbrannte Fußsohlen so egal gewesen, wie an diesen Tagen. Denn sie alle standen für etwas ein. Sie kannten sich kaum, vielleicht sahen sie hier und da ein entfernt bekanntes Gesicht, doch im Endeffekt waren sie eine unübersichtliche, zusammenhangslose Masse aus den unterschiedlichsten Menschen. Und sie alle verband der Schmerz, den sie alle erlitten hatten, der Hass, den sie mit den lauten Bässen grölten, in das Antlitz der sengenden arabischen Mittagssonne schrien, und die Hoffnung, die sie dennoch alle in sich trugen.        
Die anderen hatten sich die arabischen Herrscher genannt, wohnten in ihren reichen Palästen und protzten mit ihren Waffen und ihrer Macht, hatten sie, die hier zusammen marschierten, vergessen und verachtet. Sie hatten sie gejagt, sie hatten sie geschändet, sie hatten ihnen all das genommen, was sie menschlich machte. Doch an einem Tag wie diesem wussten sie es alle. Egal wie lange sie vergessen hatten Menschen zu sein, heute waren sie mehr als das. Und so marschierten sie gegen die arabischen Herrscher, während die Bässe sie verbanden, die durch ihre Städte rollten.

06.02.2022